Brücke
Vorgestern war Reformationstag. Martin Luther wollte die katholische Kirche reformieren. Gott sollte für die Menschen da sein, sie in ihrer Sprache direkt ansprechen können. Luther prangerte den Machtmißbrauch der Kirchenfürsten an, die zu ihrem eigenen Vorteil Schätze anhäuften und riesige Kathedralen bauen ließen. Man rief zum Protest auf gegen Hierarchie, Ausbeutung, verlogene Moral und Armut. Aus den Reformern (für etwas) wurden Protestanten (gegen etwas). Eine neue Zeit begann! Die Spaltung der Religion löste etliche Kriege in Europa aus. Ausgrenzung bzw Ausmerzung von Andersdenkenden, Andersgläubigen wurde mit Gewalt und Vertreibung durchgesetzt. Jede/r glaubte an die von Gott gegebene Wahrheit, fühlte sich im Recht und war überzeugt gegen den Feind, den Ungläubigen kämpfen zu müssen. Und heute? Im Kern hat sich nicht viel verändert, nur die Methoden sind "moderner". Täglich ist von Spaltung der Gesellschaft die Rede, von den "Abgehängten", von der Zeitenwende, von den Ängsten der Menschen und deren Unsicherheit vor der Zukunft, die mit kurzen Botschaften im Sekundentakt geschürt und verstärkt werden. Unsichere, ängstliche Menschen sind leicht zu beeinflussen und manipulierbar – das gilt seit Jahrtausenden. Der Ruf nach einer Führungsperson, einem Gott, einem Kaiser (meist männlich) ist vermeintlich die einfache Lösung. Nur so können die Machtverhältnisse dieser patriarchalen hierarchisch angelegten Strukturen durch Politiker mit ihrem unbedingtem Ego und menschenverachtenden Willen durchgesetzt werden. Wenn wir aber unserem eigenen Ego auf die Spur kommen und erkennen, dass es uns ständig sagt, was wir zu tun und zu denken haben, ohne dass wir es merken, dann werden wir bewusster. Wir erkennen den Unterschied zwischen Meinung und Haltung, werden ehrlicher mit uns selbst. Aus Glauben (geht nach außen), wird Vertrauen (geht nach innen), aus Trennung wird Verbindung, aus Gegeneinander wird ein Miteinander. In Wissenschaft und Forschung ist das schon lange angekommen und auch in der Gesellschaft werden neue Formen des Lernens und der Zusammenarbeit ausprobiert. Wir befinden uns am Anfang einer neuen Zeit, so wie vor 508 Jahren, aber wir haben die Chance eine Brücke zu bauen über die Spaltung hinweg – durch die Hinwendung zu uns selbst, zum Moment, zu unserem Sein. Wir geben uns und den anderen Raum, so zu sein, wie wir sind. Wir hören zu, sind still, lauschen in die Tiefe...wir werden freier und entdecken die Freude am Leben. Jeden Tag neu.
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